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Texte zur Kunst, Ines Kleesattel

Mit dem Hammer in der Küche: Hexenkunst als Wi(e)derholung

Ines Kleesattel über „HEXEN“ im Taxispalais Kunsthalle Tirol, Innsbruck

 

„Es gibt keine Hexen“, leitet Nina Tabassomi den kuratorischen Begleittext zur Ausstellung „HEXEN“ im Innsbrucker Taxispalais ein. Der Satz ist womöglich ein Spruch (ein Spell); stimmt und stimmt nicht; scheint vernünftig und lockt verquer auf falsche Fährten; lenkt ab von feministischen Hexenkünsten, wie sie sich seit Längerem im Aufwind befinden. 2016, in den von Trumps Wahl frisch erschütterten USA, beschwor die selbstbezeichnete Hexe Amanda Yates Garcia einen queeren, anti-kapitalistischen „Rise of the L.A. Art Witch“. Zugleich reaktivierten Feminist*innen einen intersektionalen W.I.T.C.H.-Aktivismus, der schon 1968 durch die Wall Street gefegt war. Und auch im globalisiert-europäischen Kunstfeld erleben Hexen parallel zum Erstarken von Rechtspopulismus und Autokratie einen Wi(e)der-Aufschwung,[1] der nun auch den Weg nach Innsbruck fand – von wo aus eine queere Hexengenealogie denkbar sinnig abheben kann.

Angela Anderson und Ana Hoffner ex-Prvulovic* produzierten für „HEXEN“ eine raumgreifende Installation mit verschiedenen Requisiten bzw. Reliquien und einer 40-minütigen Zwei-Kanal-Videoprojektion. Der Weg hinein in die Installation führt vorbei an sechs Tafeln mit Zitaten aus Heinrich Kramers Hexenhammer (1486). Sie handeln davon, wie Hexen – die meist weiblich seien – dafür zu bestrafen wären, dass sie Unfruchtbarkeit hervorrufen, Empfängnisverhütung praktizieren und „die männlichen Glieder wegzuhexen pflegen“.

Kramer hatte 1485 in Innsbruck gelebt und einen großen Hexenprozess initiiert, der aber scheiterte, weil er aufgrund seiner Folter-Verhörmethoden vom Bischof für verrückt erklärt und des Landes verwiesen wurde. In rasender Geschwindigkeit schrieb er in den Monaten darauf den Hexenhammer, der zum jahrhundertelangen Besteller wurde. Zwar existierten schon zuvor einige Hexenpamphlete, aber erst Kramer spitzte die Diffamierung von Hexen derart spezifisch auf Frauen zu.[2] Deshalb ist es als verque(e)re Antwort auf die hexenhämmerlich misogyne Beschwörungskunst zu verstehen, wenn sich spätere Feminist*innen wie Anderson und Hoffner ex-Prvulovic*, gewissermaßen in Counter-Spelling, affirmativ aufs Hexen berufen.

Ihre Installation Hexenküche (the witch rarely appears in the history of the proletariat) (2021) verdrillt Fäden aus mehreren raumzeitlichen Richtungen: Das Video beginnt bei der „Hexenkuchl“, einer Höhle an einem Innsbrucker Wanderweg, in der als touristisches Highlight eine Art Bühnenbild von stereotypisierten Hexen steht. Anderson und Hoffner ex-Prvulovic* praktizieren davor einen zeitgenössischen Gegenzauber; mit blauem Rauch, Fotos von Machtmännern beim politischen Handshake, spitzen bunten Fingernägeln und anderen Props, die sich teils physisch in der Installation wiederfinden. Dabei rufen sie auch solche ästhetischen Wirkmächte auf, die Teil von Stereotypisierungen sind; in geschichtsbedachtem Wi(e)derholen statt originärem Beschwören. So geht etwa dem grell-blau die Felswand emporsteigenden Rauch ein Bericht voraus, dass der örtliche Verschönerungsverein 1931 mit einem ähnlichen Dunst das Hexenkuchl-Bildwerk einweihte. Andernorts 1931 diskutierte Benjamin Bildästhetik historisch-materialistisch, plädierte für Kontextualisierung, Konstellation und verräumlichte Dialektik. Mit ihm teilt die Hexenküche 2021 das Interesse für nicht-lineare, queere Geschichte, Aktualitäten des Für-überholt-Erklärten und verunmöglichte Möglichkeitssinne.

Die Doppelprojektion kombiniert das Efeu am Höhlenfelsen mit einem Petersilienstrauch, der sich kurz darauf als ein Produkt der ausgeprägten Agrarlandschaft Tirols erweist. In dieser sitzt Sónia Melo, Aktivistin von „Sezonieri – Kampagne für die Rechte von Erntearbeiter*innen“. Sie berichtet von der Tiroler Gemüseproduktion: von Millionen Radieschen und Salaten, die händisch geerntet werden müssen, für 3 bis 6 Euro pro Stunde, von saisonalen Arbeiter*innen vor allem aus Rumänien, wo die heimische Landwirtschaft durch europäische Exportprodukte ausgestochen wurde. Schwarzbilder mit Zitaten Silvia Federicis rhythmisieren die Videoprojektion. „Im Hintergrund der Hexenverfolgung stand die Ausbreitung des ländlichen Kapitalismus“, steht neben langen Reihen von Schnittlauch zu lesen. Schnitt in eine andere Zeit. 1979 oder 1980. Als „Staatsekretärin für Frauenangelegenheiten“ erklärt Johanna Dohnal im österreichischen Kanzleramt, dass im Arbeitskreis der Bäuerinnen konstruktiv über Parteigrenzen hinweg an gemeinsamen „Fraueninteressen“ gearbeitet wurde. Diese Interessen werden zwischen Archivbildern der 1970er bis 80er Jahre und heutigen Interviews mit Zeitzeuginnen aufgefächert. Gerti Eder (vom Autonomen Frauen und Lesben Zentrum Innsbruck) und Monika Jarosch (Juristin und Obfrau des AK Emanzipation und Partnerschaft) z. B. erzählen vom Kampf für Abtreibungsentkriminalisierung in den 1970ern, von der Bemühung, das Wort Lesbe in den 90ern in die Innsbrucker Münder zu bringen, von anhaltender männerbündlerischer Traditionspflege samt Rassismus und Antisemitismus und davon, dass es in Tirol auch heute noch keine Gynäkologin mit Kassenzulassung gibt.

In „woman against birth“- und „make kin, not, babies“-Mottoshirts brauen die Künstlerinnen parallel dazu was in einem Kessel zusammen aus Gemüse, Stricknadeln, Drahtkleiderbügeln, Buben-Lederhosen, Fotos von Kurz und Orban, Orban und Putin, Kurz und Putin usw. Auch hier: Wi(e)derholung statt Avantgarde; in transtemporaler Sorge und Wahlverwandtschaft zu Hexen verschiedener Generationen. So ringen sich in der Installation um Dolden einer wilden Karotte (deren Samen empfängnisverhütend wirken sollen) bronzefarbene Pimmel – die wegen ihrer verführerischen Taschengröße allabendlich vom Ausstellungspersonal abgezählt werden. „Die antifeministische Geschlechtermetaphysik hat die magisch-dämonischen Potentiale der Weiblichkeit so lange beschworen, bis diese auf sie zurückschlugen“,[3] erklärte Silvia Bovenschen 1977 die verqueeren Affirmationen von sich selbst als Hexen bezeichnenden Frauen*. 2021 hexen auch Anderson und Hoffner ex-Prvulovic* in „temporal Drag“ und „Retro-Aktivismus“:[4] Ihre Hexenküchen-Konstellation durchkreuzt mit sowohl historischem als auch queerem Materialismus Fortschrittsparadigmen, Fatalismen und das Narrativ aufeinanderfolgender feministischer ‚Wellen‘, das zu oft vergessen machte, wie sich selbstbezeichnende Hexen der 1970er und 80er (und mit Matilda Joslyn Gage auch des 19. Jahrhunderts) anti-essentialistisch und intersektional engagierten.

Deshalb ist es ein Trick (ein Hex?), wenn die Ausstellung in den vorangehenden Räumen beinahe glauben macht, es gehe um ein mythisch ‚ganz Anderes‘: um authentischen Grusel, wenn etwa Esther Strauß nackt in der Erde des Grabes ihres Großvaters steht (Performance-Fotografie Opa, 2015); um nicht-westliches Schamanenwissen, wenn Joachim Koester spiritualitätsfördernde Gesten des Ethnologen Castaneda wiederaufführen lässt (16mm-Film to navigate, in a genuin way, in the unknown necessitates an attitude of daring, but not one of recklessness, 2009); gar um verschwörungstheoretisch anmutende Elitenkritik, wenn Neda Saeedi einen EU-Parlamentsstuhl als Inquisitorenthron inszeniert (Ezekiel dreams beyond repair, 2021); oder um blutrünstige Damenlust, wenn Pauline Curnier Jardin eine schrille Genet-Reinterpretation auf die Leinwand bringt (Qu’un sang impur, 2019). Doch dann kommt eben der Twist mit dem Hammer, von dem feministisches Hexen nicht absehen kann. Mit dem Hexenhammer – dessen erstes Kapitel besagt, „zu behaupten, es gebe keine Hexen“, sei selbst Ketzerei[5] – verkompliziert sich in der Hexenküche, was es gibt, nicht gibt und geben könnte. Kein ganz Anderes dünstet aus ihr heraus, weil sie nur zu gut um die heikle Macht großer Ästhetiken weiß. Queere Hexenkunst „deutet darauf, daß das Nichtseiende sein könnte“,[6] während sie dialektisch und mikropolitisch weder Hammer noch Aufklärung noch (neo)kolonialen Kapitalismus vergisst.

Entsprechend empfehlen Anderson und Hoffner ex-Prvulovic*, über die Ausstellungsdauer hinaus an einem Innsbrucker Wanderweg zu pausieren, auf einer Bank mit einer kleinen Plakette für „die Frauen, die während der Hexenverfolgung von 1450 bis 1750 als Hexen gefoltert und ermordet wurden“ (Parkbank, 2021). Denn ein Verkomplizieren von dem, was ist, nicht ist und un/möglich sein könnte, kann nur dort gute Hexenkunst werden, wo es Differenzen zeit-räumlicher Situierung und ungleich verteilter Möglichkeitssinne ins Gewicht fallen lässt.


[1] Vgl. z. B. The Incantation of the Disquieting Muse. On Divinity, Supra-Realities or the Exorcisement of Witchery, SAVVY Contemporary Berlin, 2016; Neo-Pagan-Bitch-Witch!, Evelyn Yard Gallery, London 2016; Magic Circle, Kunstraum Niederösterreich, Wien 2018; Waking the Witch, Visual Arts Centre Scunthorpe, 2019.

[2] Ausführlicher Wolfgang Behringer: „‚Das unheilvollste Buch der Weltliteratur?‘ Zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Malleus Maleficarum“, in: Heinrich Kramer: Der Hexenhammer. Kommentierte Neuübersetzung, hg. v. G. Jerouscheck/W. Behringer, München 2003, S.9–98.

[3] Silvia Bovenschen: „Die aktuelle Hexe, die historische Hexe und der Hexenmythos“, in: Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes, hg. v. Gabriele Becker u. a., Frankfurt/M. 1977, S.259–312, hier S.265.

[4] Elizabeth Freeman: Time Binds. Queer Temporalities, Queer Histories, Durham/London 2010, S.63.

[5] Heinrich Kramer: Der Hexenhammer, a.a.O., S.153.

[6] Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt/M. 1970, S.200.

Ana Hoffner