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Springerin, Marlene Rigler

Innsbruck. Ana Hoffners recherchebasierte, künstlerische Praxis verhandelt die Verfasstheit von Identität und Körper und darauf referierende Prozesse medialer Verkörperung –  besonders in Momenten nach Umbruch und Konflikt. Über akute Ereignisse wie Krieg oder (sexualisierte) Gewalt hinaus, lenkt sie unseren Blick auf den Zustand des Chronischen –  einen Zeithorizont, der sich linearer Progression widersetzt und durch seine fortdauernde Unbestimmtheit unser normatives Zeitempfinden stört. Die anhaltende, „chronische Gegenwart“ entschleunigt nicht nur vorwärtsgerichtetes Denken und Handeln, sondern ermöglicht es vor allem,  die Dimension der Potentialität einzuführen:  Exhausted Time, so der Titel der Ausstellung,  möchte aus der gesamten Bandbreite vorstellbarer Möglichkeiten schöpfen, also ausschöpfen nicht was ist, sondern was sein könnte. Ein spekulativer Ansatz, der sich hegemonialer – und tendenziell autoritärer – Geschichtsschreibung widersetzt.

In der von Hoffner selbst komponierten Hängung ist eine stark assoziative Abfolge zu erkennen, die bestehende, inhaltliche Bezüge zwischen einzelnen Arbeiten unterstreicht. Zwei Mal bearbeitet sie den erschütternden Augenzeugenbericht des bosnischen Kriegsgefangenen Fikret Alic über Misshandlungen und Folterim serbischen Lager Keraterm im Jahr 1992, sowie seine Rettung durch das Anlegen von Frauenkleidern als überlebenssichernde Drag-Strategie. Einmal ist ihr Ansatz biographisch-intim in Form einer kleinformatigen Collage, einmal beruht er auf Verfremdung des Stoffes, der im gefilmten Dialog mit der Schauspielerin Vivien Löschner szenisch angeordnet wird –Transferred Memories - Embodied Documents (2015) nennt Hoffner diese Materialsammlung. Wie in der filmischen Vorlage, Ingmar Bergman’s Persona (1966), lösen sich im Video die Konturen zwischen Erinnerung und Gegenwart, Sprecher und Zuhörer, Trauma und Heilung zunehmend auf. Gegensätze ordnen sich zu einem, wenn auch notwendigerweise fragmentierten, Ganzen aus Stimmen, Dokumenten, Bildernjenseits sprachlicher, ästhetischer und gesellschaftlicher Norm oder, wie die Künstlerin im Begleitheft schreibt, „heteronormativer Verfasstheit“.
Diese Strategie kommt auch in The Queer Family Album-Me and my three Dadies (2014) zur Anwendung.  Auf schwarzer Wand theatralisch beleuchtet, zeigt diese kleinformatige Fotoinstallation drei männliche Protagonisten: der Schauspieler Helmut Berger, einmalim viril-erotisch aufgeladenen Filmkostüm in Lucchino Visconti’sDie Verdammten (1969), auf dessen Ärmel Hakenkreuze glitzern und dann nochmals in seiner Verkörperung Marlene Dietrichs aus demselben Streifen. Wie die Dietrich, perfekt mit Hut und Netzstrümpfen ist auch Boban Stojanovic, fotografiert in einer Queer Performance in Belgrad im Jahr 2008. General Idea’s Plakat Nazi Milk (1979-1990) ist die dritte biografische Referenz. Als Vierten sieht man schließlich Fikret Alic, fotografiert am Ort seines Martyriums, zehn Jahre danach.  Mit dem fünften Foto, das die Künstlerin als Baby zeigt, schließt sich der offensichtlich autoreferentielle Rahmen einer spezifisch queeren Genealogie, die formal mit der Ästhetik eines Familienalbums kokettiert. In dieser humorvoll überspitzten Darstellungpatriarchaler Gesellschaftsmuster bemühen sich gleich drei Vaterfiguren um Hoffners unmögliche Filiation.

Durch Aneignung und Verschiebung extrem kodierter Bildwelten in semantisch gegensätzliche Kontexte – Hochglanzfotos der Modeindustrie werden zum Beispiel der Kriegsberichterstattung oder dem organisierten Verbrechen zugeordnet – schafft Hoffner neue, bewusst mehrdeutige Sinnzusammenhänge. Zwei mehrteilige Serien,  Identifications-Screenshots of Murder (2016) sowie Future Anterior-Illustrations of War (2013), verkehren auf diese Weise banale Aussagen der Unterhaltungsindustrie in Formen potentieller Queerness.     

Gender und Sexualität sind, ebenso wie Geschichte und Erinnerung,  mit normativen Bildern belegt. Wie genau konstituieren sich diese Bildwelten, die uns umgeben und unsere Wahrnehmung dauerhaft formen? Dieser Frage widmet Hoffner eine Videoarbeit, die Prozesse medialer Selektion und präziser Rezeptionssteuerung anhand weltpolitischer Ereignisse untersucht:  Framing Livestream (JAHR)  versetzt uns zurück zur medialen Übertragung der Exekution Osama Bin Ladens durch US-Militärkräfte im Jahr 2011. Gefilmt wurde die hochbrisante Videosequenz, die damals um die Welt ging, aus der Perspektive der „Richter“ – Präsident Obama und sein Team – versammelt vor einem für den Betrachter verborgenen Bildschirm im Weißen Haus. Durch eine performativeReinszenierung der Reaktion jedes einzelnen anwesenden Politikers untersucht Hoffner die Tätern und Opfer auferlegte Positioniertheit. Das Dispositiv, das anstatt der Tötung einen blanken Bildschirm zeigt, lässt die Befehls- und Blickrichtung des mächtigsten Mannes der Welt und seiner Berater plötzlich undeterminiert wirken.

Bildschirme geben Ausschnitte von Ereignissen in standardisierten Formaten – 16:9 oder 4:3 – wieder. Wie unnatürlich diese eingelernte Konditionierung des Sehens ist, kann man anhand der Installation Mirror Stage-Spiegelstadium (2016) physisch nachvollziehen: Um sich in einem der bodennahen, bildschirmgroßen Spiegel zu betrachten, muss man eine unbequeme Haltung einnehmen. Gebückt und mit gesenktem Blick erlebt man vielleicht zum ersten Mal bewusst jenes Sich-Verbiegen, das die neoliberale, gesellschaftliche Verfasstheit uns täglich abverlangt.

 
Ana Hoffner